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Die Vollmondnacht Chroniken - Kinder der Dunkelheit

„Eva Strauch. Ihr seid der Hexerei und Zauberei angeklagt. Das Urteil lautet: Tod auf dem Scheiterhaufen!“ Der Richter ließ das Papier sinken, von dem er abgelesen hatte. Es hätte dieses Dokumentes nicht benötigt, um die junge Frau zu verurteilen. Ihre Schuld war von Anfang an klar gewesen, es war nur eine Frage des Prozederes für die Menge.
Ein leises, zustimmendes Raunen ging durch die Reihen. Viele der Anwesenden nickten sich zu, in der Bestätigung ihrer bereits, recht früh, getroffenen Vermutung. Eva Strauch war eine Hexe! Und nun erwartete sie ihr angemessenes Schicksal.
Das Gesicht der Frau, die auf dem erhöhten Podest neben dem Richter stand, zeigte keinerlei Regung. Eva hatte mit ihrem Urteil gerechnet, seit die ersten Unkenrufe aus der Nachbarschaft laut geworden waren. Sie hatte damit gerechnet, als die Männer der Stadtverwaltung vor ihrer Hütte standen und ihr die Anklageschrift verlasen. Und nachdem sie die Wasserprobe, das 'Judicium aquae frigidae', unbeschadet überstanden hatte, schloss sie mit ihrem Schicksal Frieden:
An Händen und Füßen gefesselt, war sie in den naheliegenden Teich heruntergelassen worden. Und die Worte des Pfarrers hallten, auch jetzt noch, in ihren Gedanken nach:
„Lass das Wasser nicht empfangen den Körper dessen der, die vom Gewicht des Guten befreit durch den Wind der Ungerechtigkeit emporgetragen wird.“
Eva war nicht untergegangen, damit war ihr Urteil besiegelt.
Der Henkersknecht trat neben die junge Frau, griff sie schmerzhaft am Arm und zerrte sie hinaus auf den Marktplatz. Vor Tagen schon war der Scheiterhaufen hergerichtet worden und nun ragte der Pfahl aus der Mitte des geschichteten Holzes, wie ein drohender Finger, in den von dunklen Wolken durchzogenen Himmel. Ihre Arme wurden nach oben gedreht und über ihrem Kopf zusammengebunden, damit das Feuer die Fesseln erst zum Schluss erreichte. Auch jetzt blieb Eva stumm. Ihre Augen schmerzten vor unterdrückten Tränen, die Kehle war trocken von unausgesprochenen Worten. Erst, als die Fackel das Zündholz berührte und die Flammen langsam ihren Weg zu Evas Füßen suchten, entrang sich ihr ein leises Keuchen. Unglaublich langsam fraß sich die rot glühende Hitze ihrem Opfer entgegen. Züngelte an ihren Zehen und am Saum ihres zerschlissenen Kleides. Knisternde Funken stoben, von zu feuchtem Feuerholz, auf und brannten sich in ihre Haut. Erst als Eva von der glühend gelben Hölle der Flammen umgeben war und die Schmerzen in unerträgliche Agonie übergingen, als ihre Augen von der Hitze geblendet und unfähig zu sehen waren, erst als es ihr eigentlich nicht mehr hätte möglich sein sollen, einen Ton aus ihrer Brust zu pressen, schrie sie.
Es war ein Ton der Qual, ein Laut des Schmerzes, aber auch ein Wort der Hingabe und Liebe. Dieses eine Wort, das Eva in ihren letzten Sekunden hervorbrachte, war:
„Eleonora!“
Mit diesem letzten Gedanken an ihre Tochter, die sie vor den Schergen der Stadtverwaltung schon vor Monaten versteckt hatte, atmete sie Ruß und Hitze in ihre geschundenen Lungen. Ließ sich von den betäubenden Schmerzen hinfort tragen und ergab sich der Dunkelheit.

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